Die Intervention bei Ausgrenzung unter Jugendlichen, ein Entgegenwirken bei Mobbing oder Rassismus ist schwieriger und vielschichtiger als das Eindämmen von affektivem Schlagen oder Beleidigen. Ausgrenzung kann laut, körperlich, aggressiv, aber auch leise, heimlich, hinter dem Rücken von Lehrern oder Trainern ablaufen. Beim Schlagen und Beleidigen sind meistens nur zwei Personen beteiligt und nur einer tut dem Betroffenen weh. Sind in diesen sich spontan entwickelnden Konflikten oder bei körperlichen Angriffen jugendliche Zuschauer dabei, nimmt die empfundene Erniedrigung und Betroffenheit beim Opfer zu. Mehr als die eigentliche Tat schmerzt das Mobbingopfer, dass sich in der Regel sogar mehrere Mitläufer mit dem aggressiven Widersacher (Mobber/Mobberin) zusammenrotten und andere Zuschauer wegsehen. Diese sehen entweder absichtlich oder zufällig, aus Spaß oder sogar miteifernd zu. Sie lachen, sind überrascht oder ängstlich, verfolgen aber das Geschehen lediglich tatenlos, ohne einzuschreiten und Einhalt zu gebieten.
Mobbingbetroffene fühlen über Wochen eine zunehmende Ungerechtigkeit und Erniedrigung, wenn Mitschüler wiederholt zusehen oder sich sogar an den Erniedrigungen eines oder mehrerer starker, machtvoller Jugendlicher beteiligen.
Bei besonderen Auffälligkeiten (z.B. Äußerlichkeiten, Sozialverhalten, Selbstdarstellung) der beteiligten Jugendlichen oder bei interkulturellen Hintergründen von Ausgrenzung, Mobbing und Rassismus werden für uns Erziehende die Aufklärung sowie die Intervention aufwendiger. Für die Einzelnen müssen oft gleich mehrere konkrete Probleme gelöst oder minimiert werden. Alle am Mobbingprozess Beteiligten, auch die Zuschauer und Mitläufer, Eltern wie Schulmitarbeiter sollten informiert, beraten und um Unterstützung gebeten werden. Um handlungsfähiger zu werden,braucht eine Klassengemeinschaft eine Stärkung auf allen Ebenen – durch Dialog, Training guten Verhaltens und gemeinsame Vereinbarungen.
Intervention ist Prävention ist Intervention!
Die Prävention von Mobbing in den Jahrgangsstufen 3 bis 7 ist gleichzeitig immer auch eine Intervention, in bereits schwelenden Konflikten! Eine wohlüberlegte Intervention in einem akuten Fall ist immer auch Prävention neuer Vorfälle! Alle Beteiligten, die einen solchen Prozess erleben, werden sensibilisiert, ermutigt und aktiviert, sich zukünftig mehr für andere einzusetzen – und auch dafür, sich selbst im Fall von Mobbing bedachter zur Wehr zu setzen.
Bei Mobbing und Rassismus sind eine Vielzahl an Maßnahmen mit Tätern und Betroffenen, mit Zuschauern und Mitläufern nötig, damit die Vorfälle enden und die Gemeinschaft sozial gestärkt aus dem Prozess hervorgeht. Aber nicht jede Interventionsstrategie passt in jedem Fall. Wie wir einschreiten und helfen können, hängt von Einsicht, Angst, Hilfsbereitschaft, Stärke, Mut, Ohnmacht, Sprachfähigkeit, Resilienz, Kreativität, Toleranz, Fehlerfreundlichkeit und Unterstützung der Beteiligten ab.
Grundsätzlich halte ich es immer für gut, dass wir Erwachsenen uns einmischen, um bei Verstößen gegen unsere Umgangsregeln einzuschreiten, bzw. bei sozialen Übergriffen gegen unsere Werte von Menschlichkeit und Respekt starke Zeichen der Nichtduldung zu zeigen. Daher möchte ich Ihnen von Anfang an die Angst davor nehmen, sich aus Furcht vor eigenen Fehlern zu unsicher für eine Intervention zu fühlen.
Zeigen wir Jugendlichen: Ich setzte mich für DICH ein! Ich würde JEDEM helfen! Fair geht vor!
Was tun? In ersten Gesprächen über einen möglichen Mobbingfall sind wir idealer Weise ein unparteiischer Zuhörer, der zunächst nur Informationen von allen Seiten sammelt. „Warum einschreiten?“ könnten uns die Jugendlichen fragen. Aus Zivilcourage! Und weil wir helfen wollen, den Konflikt zu lösen. Im zweiten Schritt empfehlen wir Gewaltfrei Lernen-Pädagogen, sich im kleinen Kreis mit dem/der Betroffenen auszutauschen. Eltern, Fachlehrer, Freunde, Freizeit-Gruppenleiter können zum Hinsehen und Einschreiten im Falle von Erniedrigungen (ob bei persönlichen Begegnungen oder in der Cyberwelt) gebeten werden.
Haben wir durch den Dialog mit allen Beteiligten einen Überblick gewonnen, wählen wir sinnvoll erscheinende Interventionsmaßnahmen aus. Eine Übersicht unterschiedlicher Interventionsmaßnahmen – eingeteilt nach zwei Schweregraden von Mobbing – finden Sie im 5. Kapitel des Buches „Gewaltfrei Lernen – Das Trainingsprogramm für die Grundschule“. Das Buch von Sibylle Wanders erschien 2013 im Beltz Verlag.
Das schlimmste Verhalten von Erwachsenen in Mobbingfällen wäre abzuwiegeln, das Geschehen als unbedeutend darzustellen, nicht hinzusehen, es zu dulden oder bloße Hilflosigkeit zu zeigen. Dann empfinden auch kindliche Täter Stärke und genießen ihre einflussreiche Macht.
Zwar entscheidet der Schweregrad eines Mobbingfalles, welche Maßnahmen zur Intervention sinnvoll sind. Doch letztlich entscheidet das betroffene Kind. Das Mobbingopfer selbst bestimmt, mit wem in welcher Konstellation gesprochen wird und wie die nächsten Schritte aussehen.
Den Schweregrad differenzieren wir bei Gewaltfrei Lernen-Interventionen bezüglich:
- des Ausmaßes der empfundenen Schmerzen bzw. Verletzungen für den/die Betroffene(n)
- der Dauer der Vorfälle
- der Anzahl der beteiligten Schüler
1.Level: Ein frühes Stadium von Mobbing oder wechselseitige Ausgrenzung innerhalb einer Gruppe
2.Level: Wiederholtes oder schwerwiegendes Mobbing