Wie wirksam sind Gewaltpräventionsprogramme an Schulen?

Nach jeder öffentlichen Gewalttat von Jugendlichen oder jungen Erwachsenen kommt die Frage auf, ob und wie derartige Ereignisse jenseits des Strafrechts vermieden werden können. Regelmäßig werden dabei auch sekundärpräventive Gewaltpräventionsprojekte in Schulen als Patentrezepte genannt. Solche Programme existieren seit über 20 Jahren an einer Reihe von Schulen und gehen von der Annahme aus, dass frühes aggressives Verhalten von Kindern ein Risiko für spätere Gewaltttätigkeiten und kriminelles Verhalten ist. Ob und wie die unterschiedlichen Ansätze aber dazu geeignet sind, gewalttätiges Verhalten wirksam und auf Dauer zu verhindern, war lange Zeit nicht eindeutig geklärt.

Ein 2006 veröffentlichter „Cochrane Review“ über 56 randomisierte und vor allem kontrollierte Studien über die Wirksamkeit von Gewaltpräventionsprogrammen an meist US-amerikanischen Pflichtschulen verringerte diese Unklarheiten erheblich.

Die Wirksamkeit wurde unmittelbar nach der präventiven Intervention und in einigen Studien auch noch zusätzlich nach 12 Monaten gemessen. Dabei wurde die Wirkung unterschiedlicher Präventionsprogramme gegen Schulen ohne Intervention und einige Schulen mit Placebointerventionen gemessen. Dies erfolgte durch mehrere standardisierte Tests und unter Zuhilfenahme von Schuldokumenten über Gewalttätigkeiten.

In 34 Studien mit 2.939 SchülerInnen konnte aggressives Verhalten in der Interventionsgruppe unmittelbar nach der Intervention signifikant reduziert werden(standardisierte Mittelwertunterschiede [standardised Mean Difference=SMD] = -0,41). Dieser Unterschied blieb auch in den 7 Studien erhalten, die den Effekt der Wirksamkeit auf aggressives Verhalten ein weiteres Mal 12 Monate nach der Intervention erhoben hatten (SMD = -0,40).

Die Erfolge der Interventionen lassen sich auch daran bemessen, dass die Häufigkeit von Disziplinarmaßnahmen der Schule oder der Schulbehörden wegen aggressiven Verhaltens von Schülern nach den 9 Studien, die dazu Daten liefern, in den Interventionsschulen deutlich (SMD = -0,48) reduziert werden konnte. Das Gewicht dieser Effekte wird nur dadurch etwas gemindert, dass 2 dieser Studien lediglich Follow-ups nach zwei bis vier Monaten durchführten.

Weitere differenzierte Analysen in Untergruppen zeigten auch programmbezogene Unterschiede der messbaren Wirksamkeit. Die Reviewer heben hervor, dassInterventionen, die darauf abzielen, die Beziehungsfähigkeit oder die sozialen Fähigkeiten („social skills“) zu verbessern, wirksamer sein können als Maßnahmen, die den Schülern beizubringen versuchen, nicht auf Provokationen von Mitschülern oder Umständen zu antworten. So betrug der SMD-Wert in Programmen, die sich allein um die Beziehungsfähigkeit und soziale Fähigkeiten bemühten, –0,61, der von Programmen mit dem Fokus auf Fähigkeiten, sich nicht zu Gewalttätigkeiten provozieren zu lassen, –0,39.

Die reviewten Studien zeigten schließlich keine Wirksamkeitsunterschiede zwischen den Schulformen und damit auch den biographischen Interventionszeitpunkten: Der nachweisbare Nutzen der Interventionen war ähnlich, unabhängig davon, ob sie in Primar- oder Sekundarschulen erbracht wurden. Kein Unterschied beim Nutzen zeigte sich auch zwischen koedukativen und reinen Jungenklassen.Nach Ansicht der Reviewer muss die in diesem Review u.a. wegen des Mangels an Studien ausgeklammerte Inzidenz von gewaltbedingten Verletzungen und die Wirksamkeit der Interventionen nach mehr als 12 Monaten noch untersucht werden. Gerd Marstedt, Bernard Braun

Der Cochrane Review „School-based secondary prevention programmes for preventing violence“ von Mytton J., DiGuiseppi C., Gough D., Taylor R., Logan S. (2007 online publiziert im Cochrane Review Journal „Evidence-Based Child Health“ 2: 814-891) umfasst 77 Seiten.  Kostenlos ist allerdings nur ein umfangreiches Abstract zugänglich: http://www3.interscience.wiley.com/journal/114268524/abstract

 

 

 

 

 

 

 

 

Gewalt an Schulen . Eine deutschlandweite Online-Schülerbefragung zur Gewaltsituation an Schulen

Dissertation von Dr. Kristian Klett, Universität zu Köln, Philosophische Fakultät, Pädagogisches Seminar

Ist Schule immer auch ein Ort der Gewalt? Diese Frage erscheint auf den ersten Blick redundant. Vor allem bei der Durchsicht einschlägiger Pressemitteilungen zum Phänomen der Jugendgewalt. Doch hieran schließen sich direkt weitere Fragen an: Hat es eine gewaltfreie Schule je gegeben? Haben junge Menschen nicht zu allen Zeiten ihre Frei-räume ausgetestet? Wird die Gewalt früherer Zeiten verharmlost, wenn wir die heutige Gewalt dramatisieren? Oder ist die Zunahme der Jugendgewalt vielleicht eine Erfindung von Wirklichkeit? Das Thema „Gewalt an Schulen“ siedelt sich immer zwischen den Sphären eines reißerischen medialen „Dauerbrenners“, bzw. einer populistischen politischen Diskussion und einem weiten wissenschaftlichen Diskurs an. Es ist dabei einer Vielzahl von Interessen ausgesetzt. Diese Arbeit versucht nun, einen Einblick hinter die Kulissen dieser funktionalisierten Diskussion zu ermöglichen, wobei sie sich konkret mit der Gewaltsituation an deutschen Schulen mittels einer Online-Schülerbefragung befasst. Hierbei liegt ein Hauptbemühen in der empirischen Evaluierung des pädagogischen Handlungsrepertoires, der Möglichkeiten der Intervention, sowie der Prävention zur Verminderung von Gewalttätigkeit und der Förderung von alternativen Handlungsstrukturen bei Jugendlichen. Dies ist, wie die Auswertung innerhalb der jetzt vorliegenden Dissertation ergibt, vor allem im Hinblick auf die Persönlichkeitsentwicklung der jeweiligen Schüler und damit auch im Makro-kontext für die allgemeine Gesellschaftsentwicklung ein wichtiges bildungspolitisches Ziel.Die positiven Ergebnisse dieser Untersuchung bekräftigen mit Nachruck die Forderung eines frühzeitigen und flächendeckenden Einsatzes von Präventions- und Interventionsprogrammen, um Schulen die Möglichkeiten an die Hand zu geben, um in die Sozialisation von Jugendlichen die wirksamen Effekte schulischer Interventions- und Präventionsprogramme integrieren zu können. Vor allem, um dadurch eine Lernumgebung zu ermöglichen, die Ausgangspunkt einer friedlichen Konfliktkultur ist. Genau dann kann Schule immer auch ein Ort der Streitschlichtung und der Sozialkompetenzvermittlung sein.

Diese Arbeit wurde betreut durch Herrn Prof. Dr. H. Rüppell vom Pädagogischen Seminar – Abteilung Pädagogische Psychologie – der Universität zu Köln. Sie ist inzwischen downloadbar beim KUPS der Universität Köln.
http://kups.ub.uni-koeln.de/volltexte/2006/1617/